Mit freundlicher Genehmigung von Ernst Hofacker Musikexpress

Emmylou Harris, Hamburg, 29.8.00

"Red Dirt Girl" ist ein überraschendes Album geworden, denn du hast zum ersten Mal seit 16 Jahren - damals erschien "The Ballad Of Sally Rose" - fast alle Songs selbst geschrieben.

Niemand ist darüber überraschter als ich selbst.

Wann hattest du zuerst die Idee, ein Album mit eigenen Songs aufzunehmen?

Nach "Wrecking Ball", das für mich ein Höhepunkt war, weil es meine Kreativität und meine Energie regelrecht erneuert hat, musste ich sehr genau überlegen, was ich tue. Denn so inspirierend "Wrecking Ball" in musikalischer Hinsicht für mich war, so war mir doch klar, dass ein solcher kreativer Gipfel natürlich den Nachteil hat, dass man sich fragen muss: Wohin gehe ich danach? Und das einzige halbwegs realistische Neue, das ich danach einbringen konnte, waren eben ein paar von meinen eigenen Songs. Also begann ich mit der Arbeit, wobei ich mir anfangs das Ziel gesetzt hatte, vielleicht das halbe Album mit meinen Songs zu füllen und den Rest mit Songs anderer Autoren. Ich hätte nie gedacht, dass ich das ganze Album bestreiten könnte. Wenigstens nicht in diesem Jahrzehnt.

Bist du manchmal unsicher gewesen, ob die Qualität deiner eigenen Songs mithalten kann - schließlich bist du für die exquisite Songauswahl auf deinen Alben bekannt?

Ich finde, Songwriting ist etwas sehr Schwieriges. Und ich habe mich über die Jahre als jemand etabliert, der mit seiner Arbeit sehr guten Songwritern und ihrem High Quality-Material Tribut zollt. Mag sein, dass das keine Hits sind, aber ich glaube an die Poesie, die in diesen Liedern steckt und ich glaube, dass sie die Qualität bieten, nach der ich immer suche. Also habe ich sehr hohe Standards. Ich wollte also nicht nur Songs schreiben, die eben halbwegs in Ordnung sind und an denen ich selbst möglicherweise nicht interessiert gewesen wäre, wenn sie mir ein anderer geschickt hätte. Aber ich wollte es wenigstens versuchen. Und ich hatte ja schon geschrieben. Es ist ja nicht so, dass ich nie Songs geschrieben hätte. Und die paar, die ich selbst aufgenommen hatte, waren ja gut, finde ich. Allerdings fielen die neuen Songs nicht vom Himmel, ich musste hart daran arbeiten und mich dem Level, das ich erreichen wollte, erst annähern. Es war eine ganz neue Herausforderung, denn ich musste von meiner üblichen Routine, die darin bestand, immerzu mit der Band unterwegs zu sein, abweichen. Ich musste das Songwriting zu meiner ersten Priorität machen.

Du hast in dieser Zeit allerdings auch an einer Menge anderer Projekte gearbeitet - Western Wall mit Linda Ronstadt, das Gram Parsons-Tribute Album, die Arbeit mit Johnny Cash...

Das stimmt. Aber das waren alles Kollaborationen, Dinge, die ich in Zusammenarbeit mit anderen Leuten gemacht habe. Und es scheint, dass diese Sorte Arbeit einen anderen Bereich meiner Kreativität fordert als das Schreiben eigener Songs. Und schlussendlich waren all diese Dinge auch sehr inspirierend für mich. So bin ich zum Beispiel in Montreal gewesen, wo ich mit Kate & Anna McGarrigle gearbeitet habe. Dabei entstand dieser besondere Song, der ursprünglich für mein eigenes Album gedacht war, der dann aber auf dem Western Wall-Album landete (die Rede ist von "All I Left Behind"). Wohl vor allem deshalb, weil Linda und ich Kate und Anna unbedingt präsentieren wollten, da die beiden uns so viel bedeuten. Außerdem passte der Song gut auf dieses Album. Der Nachteil war natürlich, dass der Song damit vergeben war und ich also wieder von vorne anfangen musste. Aber die Arbeit mit Kate und Anna gab mir eine Menge Selbstvertrauen. Ich bin dann einfach häufiger zu Hause geblieben als ich das gewöhnlich tue, weil ich die Zeit zum Songschreiben brauchte. Zwei Songs, die jetzt auf "Red Dirt Girl" gelandet sind, habe ich schon während der Arbeit an "Western Wall" geschrieben. Es scheint, dass ich trotz der vielen anderen Projekte die Zeit fürs Songschreiben finden kann. Der liebe Gott weiß, ob mir das noch einmal gelingt.

Deine Tochter Meghann ist selbst eine sehr gute Songwriterin - hast du ihr deine eigenen Songs im Demostadium vorgespielt?

Meghann lebt in Kalifornien, ich wohne in Nashville. Eigentlich hat sie die Songs nicht gehört, bevor sie wirklich vollendet waren.

War sonst jemand in Deinem Umfeld, dem du die Songs im Demostadium vorgespielt hast? Jemand, der die in Sachen Quality Control geholfen hat?

Ja. Als ich "The Pearl" beendet hatte – es war der erste Song für "Red Dirt Girl" -, war ich in Kalifornien, wo ich einiges zusammen mit Daniel (Lanois) machte. Ihm spielte ich den Song vor. Und er hat mich sehr, sehr ermutigt. Er ist ein sehr harter Kritiker, der sehr hohe Standards verlangt. Sein Lob hat mich sehr ermutigt, speziell, was die Lyrics betrifft. Da fühlte ich mich sehr gut. Außerdem gibt es noch einige Leute, deren Meinung mir sehr wichtig ist, zum Beispiel Paul Kennerley, mein Ex-Ehemann und immer noch einer meiner besten Freunde. Er hat mich wohl am meisten ermutigt, ihm habe ich immer wieder einzelne Stücke und Ideen vorgespielt, er wohnt ja ebenfalls in Nashville. Letztes Jahr hat er mir zu Weihnachten sogar eine Danelectro Baritone Guitar geschenkt. Darauf habe ich zwei von den neuen Songs geschrieben. Dadurch dass diese Gitarre anders gestimmt ist, bin ich auch mit meiner Stimme in andere, neue Bereiche vorgestoßen. Diese Gitarre hat sozusagen neue musikalische und lyrische Ideen aus mir herausgeholt.

Interessant, schließlich spielst du über all die Jahre lang genug selbst Gitarre...

Ich bin nur eine Rhythmusgitarristin.

Nur – das ist doch schon gut genug.

Nein, ist es nicht. Ich werde dir sagen, dass gerade diese offenen Gitarrenstimmungen mir ganz neue Aspekte im Schreiben eröffnet haben. Daniel hat mir diese offene A-Stimmung gezeigt, die klingt wunderschön, fast wie eine große Dulcimer (das europäische Hackbrett, das als Dulcimer seinen festen Platz in der amerikanischen Folkmusik hat). Darauf kannst du auf nur ein oder zwei Saiten herrliche Melodien spielen. Und sehr mächtige Akkorde. Diese Akkorde erlauben tolle Melodien. "The Pearl" und "Hour Of Gold" sind in dieser A-Stimmung geschrieben. Auch "All I Left Behind" von den "Western Wall" Sessions mit Linda Ronstadt. "My Baby Needs A Shepherd" ebenfalls. Und auf der Baritone Gitarre hat mir diese Stimmung sehr geholfen. Du musst wissen: Grundsätzlich habe ich zu meinen Texten ein viel größeres Zutrauen als zu meinen Melodien. Ich habe immer Angst, dass ich letztlich nur sehr gewöhnliche Melodien und Akkorde benutze. Und das liegt sicher auch daran, dass meine Möglichkeiten als Gitarristin limitiert sind. Zum Beispiel bei "I Don't Want To Talk About It Now": Dieses Lied war textlich und musikalisch eigentlich fertig geschrieben, als wir mit den Aufnahmen begannen. Malcolm (Malcolm Burn, der Produzent) meinte dann aber irgendwann, dass dieser Song eine irgendwie andere musikalische Richtung braucht. Jill Conniff and Darryl Johnson, die bei der Session dabei waren, entwickelten dann neue Akkordwechsel. Und ich sagte Malcolm, das ich an dem Text nichts mehr ändern möchte, da der Song bereits alles sagt, was er zu sagen hat. Malcolm meinte, sorg dich nicht um den Text, lass uns versuchen, noch an der Musik zu arbeiten. Und jetzt bin ich sehr glücklich über die musikalische Wendung, die das Ganze genommen hat.

Es muss für dich sehr interessant gewesen sein, die Songs von der eigentlichen Ideen bis zur endgültigen Form wachsen zu sehen.

Für mich gibt es kaum etwas Befriedigenderes auf der Welt als das. Du hast am Anfang eine Idee, du willst etwas sagen. Es ist erschreckend, wenn man nicht weiß, wie man das umsetzen soll. Die Indianer haben ein Sprichwort: Die beste Art, ein Pferd zu fangen, ist einen Zaun drum herum zu bauen. Genauso ist es mit dem Songschreiben. Manchmal ist eben genau das, was du nur zwischen den Zeilen spürst und was noch ungesagt ist, das Eigentliche, was du sagen willst. Es ist ein sehr mysteriöser Prozeß. Und es ist etwas, über das ich nicht sehr viel nachdenke. Man muss eben daran arbeiten, und sei es mit dem Reim-Wörterbuch, denn manchmal führt dich eine Zeile weiter zur nächsten. Zum Beispiel "Red Dirt Girl"; zu diesem Song wurde ich inspiriert, als ich gerade in meinem Auto unterwegs zum Studio in New Orleans war. Ich sah ein Straßenschild, auf dem stand: Meridian, Mississippi. Ich erfand dann einfach eine Geschichte dazu.

Bei der Gelegenheit: Was bedeutet dieser Ausdruck "Red Dirt Girl" eigentlich?

Die US-Bundesstaaten Alabama, Georgia und Mississippi bestehen topographisch zum großen Teil aus lehmiger, sogenannter roter Erde. Und deshalb spricht man dort eben zum Beispiel von einem red dirt farmer. Es ist also eine Art Heimatbestimmung. Und obwohl dieser Song inspiriert war von Meridian, Mississippi, spielt er buchstäblich auch über diese Linie nach Alabama hinein. Ich hatte also diese Zeile "two red dirt girls in a red dirt town", und daraus entwickelte sich dann alles weitere. Eins gab das andere, ich hab' da gar nicht so viel drüber nachgedacht. Manchmal hat man eben das Glück, das so ein Song von ganz allein zu einem kommt, ohne dass man sich dafür groß anstrengen muss. Bei "Red Dirt Girl" war das so.

Jetzt, wo das Album fertig ist – bist du zufrieden? Oder denkst du bei dem einen oder anderen Song, das hätte ich vielleicht doch anders machen sollen?

Eigentlich bin ich sehr zufrieden. Ich bin glücklich mit den Songs und fühle mich gut damit. Es sind einige Songs darunter, die ich aufgenommen hätte, wenn sie nicht von mir selbst geschrieben worden wären. Und ich steh' sehr auf die Produktion der Platte, Malcolm Burn hat einen tollen Job gemacht.

Daniel Lanois brachte Dich mit "Wrecking Ball" in diese spezielle Richtung, die fast schon ambiuent-mäßig klingt, sehr atmosphärische Produktion. "Western Wall" mit Linda Ronstadt klang da schon viel traditioneller, viel naturbelassener. Wolltest du mit "Red Dirt Girl" wieder stärker in diese Lanois-Richtung?

Ja, auf jeden Fall. Für mein nächstes Soloprojekt. Natürlich war es eine große Gefahr, so eine Art son of Wrecking Ball zu machen, was ich unbedingt vermeiden wollte. Das war übrigens der ganze Grund, warum ich diesmal selbst die Songs geschrieben habe. Wir hatten ja fast dieselbe Mannschaft für die Aufnahmen, mit Ausnahme von Daniel selbst. Und ich wollte auf jeden Fall in dieser Richtung weiterarbeiten. Daniel selbst, der mit mir immer sehr ehrlich ist, hatte gesagt, dass er diesmal nicht dabeisein wollte. Neben Terminschwierigkeiten hatte das auch damit zu tun, dass er nach eigenem Bekunden nicht gewusst hätte, was er nach Wrecking Ball meiner Musik noch hinzufügen könnte. Ich wollte aber diese Sache nicht aufgeben, ich wollte weiter in dieser Richtung arbeiten. Der perfekte Kandidat für den Produzentenposten war also Malcolm, der schon durch das "Wrecking Ball"-Feuer gegangen war.

Malcolm war bei den Sessions damals dabei.

Ja, er hat als Toningenieur mitgearbeitet, brachte Songs mit und hat auch mitgespielt. Und Malcolm war sehr bewegt von diesem Album. Er hat mir das damals auch in einem Brief geschrieben. Er wusste also, was "Wrecking Ball" für mich bedeutet, schließlich war er dabei gewesen. Außerdem mag ich die Art, wie er produziert. Er ist nicht einer von denen, die alles Schritt für Schritt in verschiedenen Räumen aufnehmen, er mag es, wenn alle in einem Raum versammelt sind. Dabei mischt er sich aber nicht in die eigentliche Performance ein, er lässt dich in Ruhe. Aber er schlägt auch sehr interessante Sachen vor. Er sagte mir, dass er eine moderne Platte machen und neue Elemente einbringen will. Bei "J'ai Fait Tout" etwa haben wir das auch gemacht, es ist ein Song, der ein paar experimentelle Sounds vertragen kann. Alles in allem waren wir also ziemlich auf derselben Wellenlänge. Obwohl ich das meiste im Studio wirklich ihm überlassen habe.

Die einzige Fremdkomposition auf "Red Dirt Girl" ist "One Big Love". Wie kamst du auf diesen Song?

Malcolm hatte mal ein Patty Griffin-Album produziert, das aber nie erschienen ist. Ich besitze ein Exemplar dieses Albums und mag es sehr. So erzählte mir Malcolm von diesem Patti-Song, "One Big Love". Er meinte, dass das Lied wunderbar zu mir passen würde und schlug vor, es aufzunehmen. Ich war jedoch anfänglich gar nicht so von der Idee überzeugt, nicht wegen des Songs – Patti Griffin ist eine meiner Lieblings-Songwriterinnen -, den kannte ich da noch gar nicht. Es war eher, weil ich dachte, jetzt hab' ich schon fast das ganze Album geschrieben, warum sollte ich noch eine Coverversion machen? Das schien nicht recht zu passen. Aber ich vertraute auf Malcolms Urteil. Hinzu kam, dass Patti gerade auch in New Orleans war, wo sie an ihrem eigenen Album arbeitete. So haben wir natürlich wieder mal jeder auf des anderen Platte mitgesungen. Also sagte ich, lass es uns versuchen. Patti kam rüber in Malcolms Haus und nahm ein Tape mit Keyboard, Drummachine und Vocals auf. Ich mochte den Song auf Anhieb, als ich ihn zum ersten Mal hörte. Außerdem fand ich es interessant, auf diese Weise Abstand zu meinem eigenen Zeug zu bekommen. Im übrigen ist "One Big Love" eine prima Ergänzung zum Rest des Albums.

"Bang The Drum Slowly" ist ein sehr anrührendes Stück Musik. Ich hätte fast geweint, als ich es zum ersten Mal hörte und dabei an meinen eigenen Vater denken musste. Das ist ja nun ein sehr, sehr privates Thema. Hattest Du nicht Deine Zweifel, ob Du dieses Lied mit auf das Album nimmst?

Und ob, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich dieses Lied einmal vollenden würde. Ich habe nicht geglaubt, dass ich etwas schreiben könnte, was meinem Vater wirklich zur Ehre gereichen würde. Also war ich mir dieses Problems sehr bewusst. Aber Malcolm hat mich sehr ermuntert, "Bang The Drum Slowly" auf das Album zu nehmen. Trotzdem war ich mir sehr unsicher darüber. Meine Mutter hatte dieses Lied noch nie gehört, obwohl ich seit Jahren, genau seit 1993, an diesem Song gearbeitet habe. Einer meiner ältesten Work-in-progress-Songs. Als sie es dann zum ersten Mal hörte, war sie sehr bewegt, und das Lied bedeutet ihr inzwischen sehr viel. Das genau war der Moment, wo ich fühlte, dass ich "Bang The Drum Slowly" nicht nur veröffentlichen kann, sondern geradezu muss. Trotzdem ist es immer noch sehr schwer für mich. Ich kann von fast allen meinen Songs Abstand gewinnen, nicht aber von diesem Lied. Auf der anderen Seite ist es sehr schön, dass es offensichtlich einige Leute berührt. Also muss ich mich zwingen, mit diesem Lied rauszugehen und meine eigenen Zweifel daran außen vor zu lassen.

Du hast dieses Lied auch bei einer Feier zu Ehren deines Vaters gesungen im Juni gesungen. In Alexandria, Virginia, wurde eine Schule nach Deinem Vater, einem ehemaligen Militärpiloten, benannt.

Das stimmt. Die Feier wurde von einem Freund unserer Familie organisiert, Sam Lynn, einem Admiral der US Navy. Es war eine sehr kleine, sehr private Feier. Mein Bruder war mit seiner Familie dort, meine Mutter und ich, einige der pensionierten Offiziere, die meinen Vater noch gekannt hatten und natürlich Sam Lynn mit seiner Frau Eva.

Hat deine Familie dort zum ersten Mal "Bang The Drum Slowly" gehört?

Meine Mutter hatte das Lied schon vorher gehört, allerdings nur vom Tonband. Bei der Feier hab' ich's das erste Mal vor meiner Familie gesungen.. Und das war ziemlich schwer. Ich glaube, ich habe im Sinne einer Performance keinen besonders guten Job gemacht (lacht). Aber es spielte keine Rolle. Was mich bei der Zeremonie am meisten berührt hatte, war die Rede, die mein Bruder gehalten hat. Er hatte ein sehr enges Verhältnis zu meinem Vater. Diese ganze Veranstaltung war sehr intim, bewegend, fast schmerzhaft.

Okay, zurück zum Album: Wie kam es, dass Patti Scialfa und Bruce Springsteen auf "Tragedy" mitgesungen haben?

Zum einen, weil sie ganz einfach gerade in der Nähe waren, zum anderen aber auch, weil sie die netten Personen sind, die sie nun mal sind. Ich kenne sie zwar nicht sehr gut, habe sie aber bei einigen Gelegenheiten in den letzten Jahren getroffen und finde, dass sie sehr nette Menschen sind. Abgesehen davon natürlich, dass ich sie als Künstler sehr mag. Nun, sie spielten gerade mit der E Street Band in New Orleans, als ich "Tragedy" fertig aufgenommen hatte. Eigentlich wollte ich nur Patti haben, damit sie bei diesem Lied den Background singt. Aber Bruce kam mit zu der Session. Als Patti sich das Stück anhörte und herumprobierte, wie sie dazu singen wollte, begann Bruce einfach mitzusingen. So entwickelte es sich ganz natürlich, dass am Ende beide dabei waren. Bruce ist sehr großzügig und hat keine Probleme, bei anderen auf der Platte mitzusingen. Aber er meinte, dass es gut wäre, wenn er erst zum Ende des Liedes mitsingen würde. So taucht sein Stimme erst ganz am Ende des Songs auf. Es war eine sehr schöne Session.

Ein weiterer Gastsänger ist Dave Matthews, mit dem du "My Antonia" zusammen gesungen hast. Eure Stimmen harmonieren prima miteinander.

Ja, es ist eine sehr gute Mischung. Ich hatte schon ein paar Dinge mit Dave zusammen gemacht, so etwa eine TV Show zu Ehren von Johnny Cash, wo wir zusammen gesungen hatten. Einige Monate später bat ich ihn, mit mir bei "Austin City Limits" aufzutreten, einer TV-Musikshow von sehr hoher Qualität. Es waren eine Menge Songwriter da, die dort ihre Songs sangen: Patti Griffin, Buddy und Julie Miller, Dave und ich. We haben ein paar Songs zusammen gesungen. "My Antonia" brauchte auf jeden Fall noch eine männliche Leadstimme, da die Geschichte auch aus männlicher Perspektive erzählt ist. Dazu brauchte ich einen vielseitigen Sänger, der als zweite Leadstimme mit mir harmonierte und dazu in der Lage war, den Background beizusteuern. Eine besondere Stimme, die einen romantischen Klang hat. Dave erfüllte alle diese Voraussetzungen. Und er ist ein sehr netter Kerl - ich wusste, wenn ich ihn fragen würde, würde er sofort ja sagen. Er würde mich nicht enttäuschen. Ich mag es nun mal nicht, wenn mich jemand zurückweist.

Mark Knopfler erwähnte neulich, dass er einige Songs mit dir zusammen geschrieben habe. Stimmt das?

Nein. Wir haben nicht zusammen geschrieben, ich habe bei zwei von seinen Songs gesungen.

Er überlegt gar, ob er ein ganzes Album mit dir zusammen macht.

Du bist nun schon die zweite Person, die mir das erzählt. Nur Mark selbst hat mich noch gar nicht gefragt (lacht). Wie dem auch sei, ich liebe seine Musik, und – auch wenn du das nicht glauben magst – unsere beiden Stimmen harmonieren ganz hervorragend miteinander. Ich kann dir auf jeden Fall sagen: Wenn er mich fragt, dann werde ich ja sagen.

Absolvierst du deine Europatournee, die im Oktober startet, mit der Spyboy-Band?

Ja.

Nun, nach all dem, was du in letzten Jahren getan hast, solltest du im Anschluss an diese Welttournee wohl mal drei Jahre Urlaub machen.

Das wäre ein tolle Sache. Aber warten wir mal ab, was passiert. Auf jeden Fall werde ich vor meinem nächsten Soloprojekt eine Auszeit nehmen, auch weil ich im Moment noch keine Ahnung habe, in welche Richtung es weitergehen soll. Vielleicht bekomme ich ja eine Idee, man muss darauf vertrauen – aber wenn keine Eingebung kommt, dann bedeutet das, dass ich wohl besser eine Pause machen sollte. Ich hoffe, ich hab' dann auch den Mut, mal aufzuhören. Denn wenn ich ein Problem habe, dann dieses. Ich arbeite gerne, bleibe gerne in Bewegung. Es gibt auch nichts anderes, was ich gerne machen würde. Ich bin ja nicht wie Steve Earle, der ein Buch schreiben will, eine Klasse unterrichten und die Todesstrafe in den USA abschaffen will. Das sage ich natürlich mit sehr großem Respekt vor Steve, der einer meiner liebsten Freunde ist. Er ist für mich nicht nur als Künstler sehr inspirierend, auch als Mensch bewundere und schätze ich ihn sehr.

Ein weitere gute Freundin von dir ist Lucinda Williams – weißt du, was sie gerade macht?

Sie hat die Songs für ihr nächstes Album gerade fertig geschrieben. Ich weiß das, weil wir mit Spyboy im Oktober drei Tage Pause haben...

Immerhin drei Tage!

Ja, stell' dir vor, drei Tage. Während dieser Zeit wird Buddy Miller, der ja bei Spyboy Gitarre spielt, mit Lucinda an ihrer neuen Platte arbeiten. Wenn du über jemand sprechen willst, der niemals Pause macht, dann nimm Buddy – er ist der am härtesten arbeitende Mensch, denn ich je getroffen habe.

Nun ja, er ist Musiker, und er macht Musik. Du tust ja dasselbe, bist seit Jahren fast ununterbrochen live unterwegs. Mir scheint das fast so eine Art "neverending tour" wie bei Bob Dylan. Gehörst du zu den Musikern, die sich, wenn sie ein bisschen älter werden, sagen: Ich bin Musiker, und mein Job ist es, für die Menschen Musik zu machen – warum also sollte ich eine Pause machen?

Ja, warum sollte ich eine Pause machen? Ich hatte vor, eine Pause zu machen, um die Songs für dieses Album zu schreiben. Aber wie könnte ich mir die Gelegenheit entgehen lassen, mit Willie Nelson zu singen, und dabei von Daniel Lanois produziert zu werden? Diese Zeit war wie ein Urlaub für mich, und es waren ja auch nur mal gerade fünf Tage. Oder auch die Möglichkeit, das Gram Parsons Tribute Album zu machen – wie könnte ich solch eine Gelegenheit fahren lassen? Oder das Album mit Linda (Ronstadt) – wir haben schließlich schon jahrelang darüber gesprochen, das mal zu tun. Noch dazu, wenn Glyn Johns produziert, den ich schließlich sehr bewundere. Natürlich war die Arbeit mit Linda und das Gram Parsons-Album auch eine Abwechslung von meiner normalen Routine. Allerdings musste ich, um das machen zu können, meine Band Spyboy gehen lassen. Und das ist mir damals verdammt schwergefallen, weil du nie weißt, ob du diese phantastischen Leute noch einmal zusammenbekommst. Das war wirklich ein schwieriger Schritt für mich, ich glaube, da war ich sogar richtig tapfer. Nun hab' ich sie ja wieder.

Seit "Wrecking Ball" hast du disch sehr weit von der Countrymusik entfernt. Ich könnte mir vorstellen, dass viele deiner Fans aus dem Countrylager von "Red Dirt Girl" ein wenig enttäuscht sein werden. Kannst Du Dir vorstellen, in nächster Zeit wieder zur Countrymusik zurückzukehren?

Das würde ich ganz sicher nicht wegen der Fans machen. Lass mich Neil Young zitieren, der einmal gesagt hat: Ich arbeite für die Muse. Das tue auch ich. So sehr ich mich über meine Fans freue, sie schätze und ihnen sehr dankbar für alles bin, was sie für mich getan haben – unterm Strich bin ich nicht dazu da, um für sie zu arbeiten. Ich bin heute eine andere Person als die, die seinerzeit "Blue Kentucky Girl" gemacht hat. Das war 1979/80 das Richtige für mich, so wie es 1995 "Wrecking Ball" war. Weniger Platten zu verkaufen oder möglicherweise nicht mehr so populär zu sein, das war noch nie eine Überlegung, die meine Arbeit bestimmt hat. Wenn ich Lust hätte, mal wieder ein Countryalbum zu machen, wenn sich das natürlich entwickeln würde, dann würde ich es sofort tun – und damit wahrscheinlich meine "Wrecking Ball"-Fans enttäuschen (lacht). Was soll ich also tun? Ich arbeite für die Muse – wenn sie ruft, dann antworte ich.

Wohl die einzige Art, sich als Künstler vorwärts zu bewegen.

Ja. Und ich bin so dankbar, dass sie immer wieder an die Tür klopft. Da möchte ich sie schließlich nicht ärgern.

Schön – ich bin sehr gespannt, wie die neuen Songs mit Spyboy auf der Bühne klingen werden.

Das bin ich auch – wir haben schließlich noch nicht geprobt. Soviel kann ich aber jetzt schon sagen: Wir werden viel Material vom neuen Album spielen.

Emmylou, herzlichen Dank für das Gespräch.